17:30 Uhr Auf der M90 bei Edinburgh liegt auf der mittleren Spur eine schwarze 50-mtr-Rolle 5-Inch-Drainagerohr, die wir im Dunkeln ungebremst mit 120 km/h rammen. Ohne Sicht und kaum lenkbar bringt Clemens Paul auf der Standspur zum Stehen. Sofort beginnt Clemens damit, Pauls Zustand zu checken, gibt vorsichtige Entwarnung. Die Hälfte der 50 Meter stecken unterm Auto fest, müssen nun mühsam zerschnitten werden.
Glück im Unglück:
Es naht die Rettung in Gestalt einer Highway Maintenance mit großem Wagenheber und Säge. 10 Minuten später sind wir wieder unterwegs. Alles funktioniert noch, nur ein gelbes Cibie-Glas ist gerissen und das Plastikgitter vorm Kühler ist gebrochen. Der rechte Scheinwerfer blendet seither den Gegenverkehr und gefühlt zieht Paul minimal nach links. Das müssen wir morgen im Hellen erkunden. Gute alte Wertarbeit: jeder moderne Wagen hätte wohl seine Hochglanz-Plastik-Front als 1000-Teile-Puzzle auf dem highway verstreut! Heute hat sich unser Unterfahrschutz bezahlt gemacht!
Obwohl ich die ganze Nacht durchgefahren bin bis heute Mittag und trotz Bier & Whisky ist an Schlaf nicht zu denken: Bin hellwach und aufgedreht. Gegen 17:30 erwischt´s mich dann doch noch...bis 18:30 Uhr Clemens mich per Handy weckt, weil ich auf sein Klopfen angeblich nicht reagiert hätte… Ab ins Norseman Hotel, an der Bar einparken zum Bier und zum Ratschen mit den anderen. Schon am Auftakt-Abend in Land´s End sind wir dank der Heidelberger Helge & Ina mit ein paar anderen Teams aus Deutschland in Kontakt gekommen. Die Chemie stimmte irgendwie und so fand man sich an allen Treffpunkten auf der Strecke immer mal wieder zusammen. Wir fuhren eh alle in der selben Startgruppe, waren also immer im gleichen groben Zeitrahmen auf der Strecke unterwegs. Der Zusammenhalt war schon seit dem ersten Tag da: sah einer den anderen an der Straße stehen bleiben, wurde gleich angehalten, um notfalls helfen zu können. Wir sind lt. Liste "final results" 33. Keine Verbesserung zum Vortag also. Gut für den Anfang, besser geht immer. Bei der Durchsicht können wir uns an den Strafpunkten der anderen unserer Gruppe messen und finden einige Ansätze, die relativ leicht zu verbessern wären. Alles eine Frage der Übung. Am Abend beim Gala-Dinner zur Preisverleihung (Dresscode black tie, kennt ihr ja jetzt, soll nur noch einer sagen, Internet bildet nicht…)
werden wir dann total überrascht: „The award in the categorie absolute beginners 2013 goes to start no.73, Clemens Luber and Michael Krey with a Talbot Tagora, a seldom seen “old man´s” car…”
Die kleine Spitze bzgl. Paul´s Ruf in den 80iger Jahren überhören wir mit frisch gelernter britischer Höflichkeit. Klang da etwa ein bisschen Neid in der Stimme mit? Peter Nedin, Organisator der LeJog-events und ein Mitglied des schottischen Adels überreichen uns den Preis. Diese Kategorie wurde extra zum Ansporn für alle LeJog-Neulinge ausgelobt, von denen es doch wieder eine ganze Reihe gab.
Wir haben einen entspannten Abend mit sehr viel Wein vor, während und nach dem Essen. Bis irgendwann nichts mehr geht. Alle haben „Konditionsprobleme“, wenn sie auch bei jedem unterschiedlich ausfallen. Morgen ist LeJog 2013 vorbei.
Gegen Mittag fahren wir nach der langen Rallye-Nacht durch die Zielkontrolle in John O´Groats an der Nordspitze Schottlands. 3 heiße Tage und 2 wilde Nächte liegen hinter uns. Teilnehmer-Foto in Winner-Pose mit checkered flag und DUDELSACK-Spieler ("Ich will einen Kilt!") unter dem HERO-Torbogen ist die Belohnung für unseren Triumpf.
Endstand: Platz 33. 73 gestartet, 48 angekommen. Im Hotel haben Clemens und ich uns darauf gerade ein Tennert Lager und einen 12-year-old Old Pulteney aus Wick gegönnt! Bis zur Abschlussveranstaltung im Norseman Hotel am Abend sollten wir uns wohl noch eine Mütze Schlaf gönnen. Unser Nethercliffe Hotel entpuppt sich als leicht überaltertes, ein wenig kitschiges, aber liebevoll eingerichtetes B&B-Haus.
Paul darf seine Trophäen (Startnummern und gefühlt eine Tonne Dreck und Schlamm) noch ein paar Tage zur Schau stellen. Hat hart dafür gearbeitet und auch gelitten.
Ganze 2 Dutzend (!) zum Teil sehr heftige Slalom-Tests auf Beton- und Schotterpisten hat Paul in dieser Zeit absolviert, ich habe ihn dabei nicht geschont! Genau DAFÜR haben wir ihn hergerichtet. Hab ihn hunderte von Kilometern über die Insel durch engste Wege in Cornwall und Wales getrieben, habe ihn bei sog. Überführungsfahrten z.B. hinauf nach Glasgow unter Volllast gequält. Über die schottischen Highlands heute nacht ging es auch nicht im Cruiser-Tempo.
Die Kupplung stinkt, leichter Ölgeruch zieht in den Innenraum, das rechte vordere Rad weist etwas Spiel auf. Da steht wohl ein großer Service als nächstes auf dem Plan.
Zu keiner Zeit hat man das Gefühl, hier würden die Top-Fahrer bevorzugt. Jeder, wirklich jeder ist hier ansprechbar, versucht wenn möglich selbst zu helfen oder beschafft jemanden, der helfen kann. Ich verstehe langsam, dass manche Teams schon seit mehreren, einige seit vielen Jahren hierher kommen. Suchtfaktor: HOCH!
Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Engländer ist unbeschreiblich, wahre Europäer! Clemens und ich lieben das, halten bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein bisschen small talk mit den vielen Helfern, den Offiziellen, den anderen Teams. Und der Dank an Clemens und mich? "Hi, you are the guys that always smile!" Wir nehmen das als Kompliment. Danke!
Die Nachtetappe begann um 22:30 Uhr. Wie schon an allen MC´s (Main Control) waren wir mit der höchsten Startnummer halt als Letzte auf die Reise geschickt worden. Und wie immer: 15 Minuten vorher gabs die notwendigen Routen- und Aufgaben -Informationen. Das reicht i.d.R. nur den wahren Profis und den "alten" Hasen, um daraus exakte, später mit Notbeleuchtung bei heißen Kurvenfahrten lesbare Einträge in die Karten zu erstellen und sie dann passgenau auch noch fehlerfrei und streckenlogisch wiederzugeben. Die Anfänger packen das dann eher nach dem Prinzip " Mut zur Lücke" an.
Unzählige Prüfungen und Fahrten lassen die Nacht schneller vergehen, als wir dachten. Und was für eine Nacht! Wir fahren fast durchgehend mit offenem Fenster: midsomar season! Kleines Malheur: Auf dem Oban Airport zu einer Slalom-Prüfung erhalten wir von einem Marshall in dunkelstem Schottisch (oder so...) unverständliche Weisungen. Ahnungslos bewegen wir uns auf die einzigen erkennbaren Lichter zu: die Start- und Landebahn! Bo ey, so eine Gelegenheit kommt nie wieder, das wollte ich schon immer mal machen! Mit Vollgas die Startbahn runter, abheben liegt im Bereich des Möglichen! READY FOR TAKE OFF?, Paul schreit "I believe I can fly"... JA, und das Ende vom Lied? Eskorte durch den Ford Transit der Flughafen-Kontrolle...Den Slalom? Ach, den haben wir nach ca. 2/3 mangels fehlender Konzentration vergeigt.
Paul fällt natürlich auf, zumal es in Großbritannien keinen einzigen Tagora mehr gibt der zugelassen ist. Ein paar Kommentare habe ich aus dem Internet gefischt.